Montag, 19. März 2012

Zwischenstopp Bolivien: Gestank, Gefahr, Gesalzen


[La Paz – Death Road – Uyuni/Salar de Uyuni]

La Paz, mit 3‘600 m.ü.M. der höchstgelegenste Regierungssitz der Erde, ist eingekesselt von Bergen und erinnert mich stark an Quito in Ecuador. Die hauptsächlich backsteinorangen Häuser sind rundum an die Berge gekleistert, was speziell in der Nacht mit ihren tausenden orange-golden funkelnden und silbernen glitzernden Lichtern phänomenal aussieht. Erst einmal in die Stadt eingetaucht, wird ein Grossteil des Glanzes relativiert: Gedränge, Abgase und Gestank nach Fäkalien und Pisse (die Bolivianer sind ja bekannt dafür, dass sie überall auf die Strasse pinkeln, was ich mehrfach auch gesehen habe). Da ich für meinen kurzen Aufenthalt in Bolivien kein Guidebook kaufe, frage ich, als ich am späteren Nachmittag des 25.02.12 ankomme, erst mal ein paar Backpacker nach einem nahegelegenen Hostel und werde fündig: Das Bacoo ist meine Bleibe für die nächsten Tage.
Panorama von La Paz… by day…
…and night
Warum soll, was in Mexiko funktioniert, nicht auch in Bolivien funktionieren? Lucha Libre, oder auf Bolivianisch „Cholitas Wrestling“ (Cholita = traditionell bekleidete Frau in Bolivien, Peru und Chile). Nun, die Regeln sind gleich: Ein eingeübter Wrestlingkampf, der das Publikum unterhalten soll. Während technisches Setup und Location minderwertiger sind, als in Mexiko (ebenso keine lasziven Nummerngirls), ist die Unterhaltung dafür umso besser! Zum einen die traditionell gekleideten Kämpferinnen mit ihren wallenden Röcken, die die Jungs – oder sich gegenseitig – verkloppen, sich die Coke- oder Wasserflaschen vom Publikum klauen und dieses damit vollspritzt oder gar den Kampf ausserhalb der abgesperrten Zone, mitten im Publikum fortsetzen. Zum anderen der parteiische, bestochene Kampfrichter, der in den Kampf eingreift und eins auf die Fresse kriegt, oder all die anderen Specials, die den Unterhaltungsgrad steigern – nebst den waghalsigen Wrestlingmoves natürlich. Ein amüsantes Sonntags-Spektakel am 26.02.12.
Der bestochene Schiedsrichter greift gleich ein
Waghalsiger Frauenkampf

Man nehme einen Toyota Minivan, drei Holländer, einen Australier und einen Schweizer, laute Musik, mache ein paar Stopps um Alkohol to-go und Zigaretten zu kaufen, und fahre von 1000m.ü.M. auf 4700m.ü.M. Good party-times, sage ich euch! Aber das Ganze hat bereits am Morgen des 27.02.12 angefangen; mit der nicht  weniger erwähnenswerten, ehrfurchtgebietenden Death Road! Die Yungas-Strasse, die auch mit „gefährlichster Strasse der Welt“ bezeichnet wird,  ist ungeteert, hat stattliche 3600m Höhenunterschied, führt ohne Leitplanken an steilen Abhängen entlang und ist Spielwiese für waghalsige Downhill-Biker. In den 11 Jahren, wo sie für Fahrräder geöffnet ist, hat sie 37 Todesopfer gefordert. Ganz im Kontrast zu meinem Downhill-Erlebnis in Indien, erhalten wir hier beim Start professionelle Ausrüstung und flitzen so (noch nüchtern!) aus recht fischen, nebligen 4700m.ü.M. rund 65km durch den tropischen Amazonas-Wald auf 1200m.ü.M. herunter, wo es wieder sonnig und feucht-heiss ist. Enge Kurven, gefährlich-steile Abhänge am Strassenrand, Fahrt durch Wasserfälle und geile Jumps verpassen mir einen ungeheuren Adrenalin-Rausch. Beinahe unversehrt (ein platter Reifen, zwei Holländer und der Ausstralier stürzen einmal) überstehen wir die rasante Fahrt. Unten angekommen, erwarten uns ein leckeres Buffet und ein erfrischender Pool, sowie selbstverständlich ein paar Rum+Cokes, um die Party zu starten. Obwohl das Erlebnis recht touristisch und teuer ist, ist die Death-Road ist ein definitives „MUSS“ in La Paz. Nachdem wir am Abend geduscht und etwas geschlafen haben, treffen wir uns in meinem Hostel – die Party geht weiter…
Unterwegs zur Death Road…noch ist’s geteert..
…schnell cool vor dem Abhang geposed…
…dann geht die gefährliche Fahrt los…
…vorbei an den steilsten Abhängen der Welt!
Party auf dem Weg zurück
Etwas übermütig dem Abhang entkommen
Obwohl der gestrige Rum von minderwertiger Qualität war, verschont mich der Schutzpatron der Piraten von einem Hangover. Mein Projekt für den 28.02.12 ist der Kauf eines neuen Tagesrucksacks, da mein gegenwärtiger ja gerissen ist. In La Paz, sowie auch in vielen anderen zentral- und mittelamerikanischen Grossstädten befinden sich die Shops in Cluster, so gibt’s an einer Strasse nur esoterische Läden mit ausgetrockneten Lama-Föten*, Steinen, Kräuter und Pülverchen, an der anderen Ecke findet entdecke ich Arbeitskleidung, Eisenwaren und Schutzhelme und an einer weiteren Strasse finde ich endlich ein paar Trekking-Shops. Bevor ich mich aber entscheide, schaue ich noch an den Marktständen herum und mir wird vom Shop-Besitzer ein passender Billigrucksack, der aber für ein paar Monate halten sollte, für 165 Bolivianos (ca. 35 CHF) angeboten. Als ich nach dem Mittagessen für den Kauf nochmals vorbei gehe, ist eine griesgrämige Frau am Stand. Ich halte den Rucksack schon in den Händen, hab das Marken-Tag bereits abgerissen und händige ihr die vereinbarten 165 Bolivianos über. Sie besteht aber darauf, dass der Rucksack 175 Bolivianos kostet. Ich erkläre ihr von meinem Angebot vom freundlichen Señor am Morgen. Ihre Mine ändert von griesgrämig zu angepisst – sie reisst mir den Rucksack aus der Hand, stopft das Füllmaterial wieder hinein und ignoriert mich von da an. Tja, jeder clevere Geschäftsmann resp. –Frau hätte den Deal geschlossen. Nicht so Frau Miesmacher. Dafür kaufe ich mir später in einem professionellen Trekking-Shop ein gefälschtes Northfake-Daypack für den doppelten Preis mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.
Für einmal habe ich überhaupt keine Freude am Busfahren. Der Nachtbus am Abend des 28.02.12 von La Paz nach Uyuni ist vollgestopft, schmuddelig und klapprig. Ich versuche zu Schlafen, doch mein Sitznachbar quetscht mich mit seiner breiten Statur so ans Fenster, dass ich keine bequeme Einschlafstellung finden kann.  Grad als ich endlich weggedöst bin, biegt der Bus vom ruhigen Asphalt auf die holprige Wüstenstrasse ab und es kommt mir vor, als würden wir Jürden Drews mitten durchs Kornfeld fahren. Ich schaue auf die Uhr… Gott, es ist erst 3 Uhr in der Früh! Auf meinem „Bett im holpernden Kornfeld“, auf 3/4 meines Sitzplatzes reduziert, kann ich einen erholsamen Schlaf vergessen. Dafür sehe ich etwa 3h später einen wunderschönen Sonnenaufgang in der Wüste. Just als ich endlich wieder eingeschlafen bin, kommen wir am Morgen des 29.02.12 (geschenkter Tag) in Uyuni an.

Noch am selben Tag startet die Tour in die „Salar de Uyuni“, zum grössten Salzsee der Welt (über 10‘000 km2 gross), dessen Salzmenge auf ca. zehn Milliarden Tonnen geschätzt wird (eine solide Schicht zwischen 3 und 30m). Da gegenwärtig Regenzeit ist, ist die ganze Wüste mit einem dünnen Salzwasserfilm bedeckt, welche das Gebiet zum grössten natürlichen Spiegel der Welt macht. Gemeinsam mit zwei Norweger und drei Argentinier besichtigen wir erst das alte Lokomotiv-Depot mit den verrosteten Lokomotiven aus dem letzten Jahrhundert. Anschliessend besteigen wir das Dach des Jeeps und fahren durch eine höchst eindrückliche Gegend, die man nicht mit Worten beschreiben kann. Hier lasse ich am besten ein paar Fotos sprechen…
Body Pump beim Zugsdepot
Los geht die Fahrt in die Salzwüste
Spiegelglatt soweit das Auge reicht
Den Jeep in den Händen gehalten…

..und balanciert..
..ins Nichts gesprungen..
..und gut gekickt
Mutige Runa füttert Banane…
während die Männer Flüchten

Verschlafenes Uyuni am Morgen früh
Ich habe bereits meine Weiterfahrt nach Potosi in La Paz gebucht (die Dame im Reisebüro hatte wohl keine Ahnung), doch die Norweger sagen mir, ich sei viel schneller in Argentinien, wenn ich über Villazon fahre. Gesagt getan… Ganz nach den Worten von Mr. Mankiw opfere ich mein bereits gekauftes Ticket den „sunk cost“ und da der Bus nach Villazon erst am nächsten Tag fährt, übernachte ich in Uyuni und stehe am 01.03.12 abermals früh auf.

“Adventure is a path. Real adventure – self-determined, self-motivated, often risky – forces you to have firsthand encounters with the world. The world the way it is, not the way you imagine it. Your body will collide with the earth and you will bear witness. In this way you will be compelled to grapple with the limitless kindness and bottomless cruelty of humankind – and perhaps realize that you yourself are capable of both. This will change you. Nothing will ever again be black-and-white.” – Mark Jenkins 

Cheers
Alex

*Wie mir gesagt wurde, braucht man diese, wenn man ein Haus bauen will. Man betoniert sie ins Fundament, um das Pachamama der Mutter Erde zu besänftigen.





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