Montag, 14. Mai 2012

Baer geht in Retreat


[Brasilia – Abadiania – Rio de Janeiro]

Mein Abstecher auf die brasilianische Seite der Iguazú-Fälle war so kurz, dass er eigentlich gar nicht als Besuch in Brasilien zählt. Daher habe ich mich entschlossen, meine verbleibenden Tage vor der grossen Teichüberquerung im Land des heissen Sambas, der knappen-Bikini-Strände und des Fussball-Fanatismus zu verbringen. Zufälligerweise veranstaltet zu dieser Zeit Beatrice, meine Cousine, gerade eine Reise zum Thema Geistheilen beim Medium Joao in Abadiania*. Eine perfekte Chance, um auf Retreat zu gehen und etwas in den Baer zu kehren!:-) Der Abschied von Santiago fällt mir etwas schwer, da ich – obwohl, oder grad weil ich noch nicht so viel Touristisches gesehen habe – die Stadt irgendwie ins Herzen geschlossen habe. Nicht nur die Stadt, auch das tolle Plaza de Armas Hostel, die Leute dort und den ganzen Vibe. Erste Überraschung ist am Morgen des 30.04.12, als ich herausfinde, dass Winterzeitumstellung war. Was hat mich Jessi in Ushuaia gelernt? „Spring – forward“ und „fall – backward“… so drehe ich meine Uhr um eine Stunde zurück und gewinne vor meiner Abreise noch eine Stunde, um gemütlich zu Packen und mir ein reichhaltiges Avocado-Rühreifrühstück zu machen. Die zweite Überraschung kommt am Flughafen, als ich beim Einchecken per Zufall David und Lukas treffe, die beiden Amifreunde von Sol aus Buenos Aires, welche ein verlängertes Weekend in Santiago und Valparaiso verbracht haben. Wir fliegen mit Flypluna, dem südamerikanischen Pendent zu Easyjet: Komfort = flop (Sitzreihen so eng, dass man sich mit den Knien beide Ohren zuhalten kann), dafür Augenweide = top (die Stewardessen bieten ein Labsal für Männerherzen). Und dies sowohl im Flug von Santiago nach Montevideo (Uruguay) und im Anschluss von Montevideo nach Brasilia. Den ganzen Tag gedöst, Schlange gestanden, gewartet, im engen Flugzeugsitz ausgeharrt (und ja, zugegeben auch etwas die Augen geweidet;-)), komme ich in „Braschiu“ an und werde vom freundlichen Immigrationsbeamten auf Deutsch willkommen geheissen („Wünsche ihne eine schöne Aufent‘alt“) und von der grantigen Zöllnerin auf Portugiesisch getadelt (weil ich noch Äpfel aus Chile mitführe). Zur Feier des Tages checke ich im 4-Stern Bristol Hotel ein und geniesse zum Tag der Arbeit am 01.05.12 ein vorzügliches Frühstückbuffet mit Avocado-Smoothie, Cashewnuss-Saft, endlich wieder mal leckeren Yucca-Brötchen(!) mit Yoghurt (viva Ecuador!) und köstlichem Rührei. Nun mit dem Spanisch geht’s bei mir mittlerweile so einigermassen. Ich kann mich durchschlagen und verstehe so einiges. Aber beim Portugiesisch denke ich mir jedes Mal, wenn jemand mit mir spricht: „Hä? Ich verstehe gar nix. Nimm mal den Kaugummi aus dem Mund.“ Auf meiner Suche nach dem Busterminal muss ich so einige Niederschläge einstecken, irgendetwas verstehen zu wollen. Die Antworten kommen mir mehr als nur spanisch vor. Daher lasse ich mich von meinem Instinkt leiten und zeige dem erstbesten Buschauffeur einen Zettel, wo „Rodoviaria“ (das ist die grosse Busstation) und „Bus to Abadiania“ drauf steht. Er sagt irgendwas, das ich logischerweise nicht verstehe und signalisiert mir, dass ich einsteigen soll und besteht darauf, dass ich für die etwa 15 Minütige Fahrt kein Ticket zu lösen brauche. Muito obrigado! Der Ort, wo er mich herauslässt ist keine offizielle Haltestelle. Aber ich bin da, beim grossen Busterminal! Und was sehe ich? Bei Bob’s Milkshake erblickt mein geschultes Auge einen Ovomaltine-Milkshake im Angebot. Obwohl ich vom reichhaltigen Frühstück noch kein Hunger habe, greift meine „Invisible Hand“ in die Hosentasche und kramt 8 Real (ca. 3.80 CHF) hervor. Ich bestelle mir gleich einen halben Liter, um endlich mal wieder ein Stück Heimat zu kosten. Lecker!

In Abadiania finde ich eine andere Welt vor – also zumindest auf der einen Seite der Hauptstrasse, nämlich dort, wo die Wirkungsstätte, das „Casa de Dom Inácio“ ist. Pousadas, das sind die hiesigen Guesthouses, reihen sich aneinander und beherbergen mehrheitlich in Weiss gekleidete Genesungs-, Rat-, Hilfe- und Erleuchtungssuchende Leute aus Allerwelt (denn Weiss ist die „Arbeitskleidung“ fürs Casa). Vom New-Age Hippie bis zum ehemaligen Tauchinstruktor ist jede Bevölkerungsschicht vertreten – und man spürt: Irgendetwas geht hier vor. Weiter gibt es ein paar Kaffees, Restauräntchen und Shops in diesem Ort, die ausschliesslich vom Geistheil-Tourismus leben. Nachdem ich in einer günstigen Pousada eingecheckt habe (30 Real pro Nacht = ca. 14 CHF), treffe ich Beatrice und wir haben uns nach einem Jahr Baer auf Reisen viel zu erzählen. Des Weiteren erklärt sie mir die Regeln und Abläufe fürs Casa und meine Spannung steigt, was mich die nächsten Tage hier erwarten wird…
Bier und Bar auf der einen Seite…
Weiss und wunderbar auf der anderen

Tags darauf, am 02.05.12 ist es dann soweit: Baer in Weiss strömt mit hunderten von anderen Anhängern, Neulingen, körperlich behinderten, Neugierigen und Spirituellen Leuten ins Casa, um an den täglichen Sessions teilzunehmen, die von Mittwoch bis Freitag stattfinden. Es herrscht eine anmutige, friedliche und fröhliche Stimmung. Ich tauche ich in eine ganz neue Welt ein und kehre mit den Gedanken in mich, meditiere viel und lerne durch Beatrice viele interessante und nette Leute kennen. Ich erlebe schöne und wundersame Momente und entdecke Seiten in mir, die ich bis anhin nur vage gekannt habe. Nach einem Jahr Reisen und den unterschiedlichsten Erlebnissen, Bekanntschaften und Abenteuern finde ich in Abadiania endlich Zeit (und nehme sie mir auch!), um tief in mich zu kehren. Ganz nach folgendem Zitat von Lillian Smith:
“I soon realized that no journey carries one far unless, as it extends into the world around us, it goes an equal distance into the world within.” – Lillian Smith
Moderation…
…Meditation…
…und gute Wünsche
Die fünf Tage bis zum 05.05.12 vergehen wie im Flug und ich arbeite daran, meine Wünsche und Erkenntnisse aus meiner Reise zu manifestieren und auch für andere Leute Gutes zu wünschen. Zudem wird mir einmal mehr klar, dass es noch andere Dimensionen und Wirkungskräfte gibt und ich erlebe die Kraft und Freude des Meditierens. Während meiner bevorstehenden achttägigen Frachtschiffreise werde ich hoffentlich noch genügend Zeit haben, um dies zu praktizieren und meine Gedanken und Erlebnisse meiner Reise weiter zu ordnen.
Mit Bea und Angelika
Mit Joao himself
 Am 06.05.12 fahre ich mit Beatrice zurück nach Brasilia, wo wir ihre Gruppe in Empfang nehmen. In der mondänen Suite von Bea im Manhattan Hotel darf ich die Couch crashen und mich am reichhaltigen Buffet verköstigen. Der Bundessdistrikt Brasilia zählt 2.6 Millionen Einwohner und ist eine Stadt, die in den 60er Jahren auf dem Reissbrett designed wurde. Sieht man auch, denn der Gebäudestil erinnert stark an die kalten 60er und 70er Jahre mit mehr oder weniger stylischen Betonbauten (je nach Geschmack), die in billigster Qualität und – so scheints – innert kürzester Zeit erstellt wurden. Von oben sieht die Stadt übrigens einem Flugzeug ähnlich, dies ist aber eher Zufall oder Interpretation der Leute, denn man hat die Form eines Kreuzes gewählt, das als Symbol der Landmarkierung auf einer Landkarte gesehen werden sollte. Anyway… in einem kurzen Sightseeing Programm besichtigen wir 07.05.12 die wunderschöne Kathedrale von Brasilia mit ihrem akustischen Phänomen (der Schall wird entlang des kreisförmigen Betonsockels so gut weitergeleitet, dass man ein Flüstern über mehr als 50m auf der anderen Seite hören kann). Weiter geht’s über die Juscelino-Kubitschek-Brücke, vorbei an zahlreichen Regierungsgebäuden zur Don Bosco Kirche, die mich mit seinem sanften blauen Licht, der entspannten Chillout-Musik und dem prägnanten Kronleuchter verzaubert. Zweitletzter Halt ist der Tempel des guten Willens, wo mir oberdoofe Überzugshosen aufgedrückt werden (die mir zudem noch ständig runterrutschen), da man das Gebäude nicht mit kurzen Hosen betreten darf. Der Tempel des Guten Willens „Boa Vontade“ ist abermals ein energiegeladener Ort, ein Ort des Friedens und der Ruhe wo ich einen andächtigen Gang durch die Spirale zum Kristall hoch oben in der Mitte des Raumes mache. Der letzte Stopp ist dann eher etwas für den Magen; die Churrascaria „Potencia Do Sul“, ein typischer, brasilianischer Fleischpalast (wo’s aber auch gutes vegetarisches Buffet gibt), wo ich von Beatrice eingeladen werde. An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Bea für die wunderbare und inspirierende Zeit! Am Flughafen in Brasilia gibt’s ein Wiedertreffen mit Chih Chan, mit dem ich damals vor knapp drei Monaten in Peru herumgezogen bin. Der Zufall bringt uns am selben Tag zum selben Flughafen und Facebook hilft etwas nach, dass wir uns treffen.:-)
Aussicht auf Brasilia mit Megamond
Das Flüsterexperient in der Kathedrale
Don Bosco Kirche
Spirale im Tempel des Guten Willens
Wiedertreffen mit Chih Chan – 100% Brazil
Spät nachts komme ich in Rio de Janeiro an und habe keine Ahnung wie, wo und was. Mittlerweile sind solche Situationen aber keine grossen Herausforderung mehr: Die Touristeninformation am Flughafen empfiehlt mir ein Hostel (huch, jemand der Englisch kann!), die Taxifahrt habe ich geschickt heruntergehandelt (und wohl doch noch zu viel bezahlt) und das Hostelbett im „Bellas Artes Guesthouse“ im Nu bezogen (ebenso schnell versinke ich in einen Dornröschenschlaf). Meine (zu) kurze Zeit in Rio will ich die nächsten beiden Tage vollends auskosten. Daher beschliesse ich am Morgen des bewölkten 08.05.12 eine Stadttour zu machen (andere Sehenswürdigkeiten spare ich mir für morgen auf, wo ich schönes Wetter bestellt habe). Die Gesinnung einer Stadt lernt man am besten kennen, wenn man die U-Bahn benutzt. So tauche ich mitten in Rio de Janeiro’s Alltagsvibe der Rushhour ab, als ich bei der Station „Glôria“ die Treppen zur Metro hinunter steige. Die Stimmung ist geschäftig, aber ich bin mir sicher, in ihrem Hinterkopf haben sie Samba, Strand und die Highlights des gestrigen Fussballspiels. Rio ist eine vibrierende Stadt – und dies nicht nur zur Zeit des Karnevals! Im historischen Zentrum mache ich meine Tour und sehe nebst historischen Häusern, gemütlichen Pubs, eifriger Einkaufsmeile die  interessante Wanderausstellung von Yann Arthus-Bertrand, die verschiedene atemberaubende Fotos der Erde von oben zeigt (mehrere der dargestellten Schauplätze habe ich auf meiner Reise besucht!). 
Pictures of…
...the moment...
...in Rio
Baer steht auf Rio
The Arches
Das Wetter ist am 09.05.12 wie bestellt sonnig! Nichts wie los zur 38m hohen Christusfigur auf dem Gipfel des Corcovado, dem Wahrzeichen von Rio und einer fesselnden Aussicht auf die zweitgrösste Stadt Brasiliens. Nach diesem Zückerchen, geht’s direkt weiter mit der Seilbahn auf den Zuckerhut, wo ich mit einer ebenso schönen Aussicht auf den Yachthafen und den Copacabana Strand belohnt werde. Danach geht’s noch kurz an den Strand im Stadtteil Copacabana, bevor ich nach meinem Blitz-Sightseeing ins Hostel zurück gehe und meine sieben Sachen zusammenkrame und mich am späten Abend zum Flughafen aufmache, um meinen Flug via Panama nach New York zu erwischen.
Who’s Jesus now?
Blick vom Zuckerhut

Und hier noch das ganze Rio-Panorama
Ohne Worte

Der Zuckerhut von Copacabana aus :-)



“Travel and change of place impart new vigor to the mind.” – Seneca

Cheers
Alex

* Für mehr Infos zur Arbeit meiner Cousine: www.lichtfluss.org





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