Montag, 9. April 2012

Am Ende der Welt


[Ushuaia – El Calafate – El Chaltén]


Wenn ich an die Heimat in der Schweiz denke, fällt es mir schwierig vorzustellen, wie dort langsam Frühling wird, während ich weiter südlich in windige, herbstlich-kühle und gelb-rot gefärbte Regionen vordringe. Ich geniesse jedoch den Temperaturkontrast zu Iguazú oder Buenos Aires und es geht mir nach wie vor supergut und ich bin glücklich – auch wenn ich mein Zuhause zeitweise selbstverständlich vermisse. Was mir am meisten fehlt sind meine Familie und Freunde, mein F6-Zuhause, das Essen (inkl. Kochen), die heimischen Parties :-), das Fitnessplus und – ja ihr lest richtig – etwas auch ein geregeltes Arbeitsleben. Was ich beim Reisen am meisten schätze, ist der konstante Feed von neuen Eindrücken, Kulturen und Abenteuern, das Leute kennenlernen, das Gefühl vom frei sein und selbstredend alle News von Zuhause.;-)

Die 31h Busfahrt am 24.03.12 von Puerto Madryn Richtung Süden, entlang der Ostküste von Patagonien ist öde, aber beflügelnd für tiefe Gedankengänge. Endlos flache, steppenartige Pampa (soweit das Auge reicht), kilometerlange Zäune entlang der Strasse (wer die wohl alle gebaut hat?) und die Tafel an der Strasse zeigt Ushuaia 1100km (während Vin Diesel fast&furious über den Bildschirm flimmert). Diesmal habe ich nur Cama gebucht, das heisst 180° Schlafkomfort in halbliegender Position. Der servierte argentinische Snack ist alles andere, als vegetarisch… zum Glück betreibe ich mein in Indien von Hanna und Theresa angelerntes on board Self-Catering mit leckerem Sandwich, Chips und Keksen. Am Morgen früh in Rio Gallegos wechsle ich den Bus nach Ushuaia und döse durch die immer schaler werdende Gegend, bis wir an die chilenische Grenze kommen. Den Zoll-Papierkram im Bus ausgefüllt (zum Glück hab ich die erforderlichen Papiere noch in Rio Gallegos organisiert), die Äpfel rechtzeitig weggeworfen (Chile ist strikt mit der keine-Früchte-Käse-Fleisch-Importpolitik), verläuft der Grenzübertritt reibungslos… Als ich nach dem Passstempeln in den Bus zurück kehre, sehe ich jedoch grad, wie der Grenzhund an meinem Self-Catering Säckchen schnüffelt… Fuck, ich hab ja noch ein Käsesandwich drin! Der Grenzwächter lässt fünf gerade sein (ist aber wohl etwas neidisch, weil ich so ein gutes Brötchen hab). Weiter geht die Fahrt. Die Steppe ist etwas hügliger und beherbergt nun viel Gras, unzählige Schafe, vereinzelt Lamas und Füchse. Unverändert säumen Zäune den Weg und ich vertreibe die Zeit mit Schlafen, Sinnieren, Musikhören und Hörbüchern… In der Region „Tierra Del Fuego“ erheben sich, je südlicher wir kommen, hohe, teils schneebedeckte Berge in den Schönwetterhimmel, moosbehangene Wälder säumen die Strasse und selbstverständlich Zäune… nach einem wunderbaren Sonnenuntergang komme ich am Abend des 25.03.12 fix und fertig von der langen Reise im frischen Ushuaia, am Ende der Welt an. Ushuaia hat etwa 70‘000 Einwohner und ist DER Ausgangspunkt für Antarktis-Expeditionen. Das letzte Schiff für diese Saison ist jedoch bereits in den See gestochen, daher steht für mich die luxuriöse Versuchung (last Minute ca. 4000 USD) gar nicht erst zur Diskussion.
Grenze zu Chile: Nicht nur
bei mir ein Auge zugedrückt
Mit Jessi+Ayla zum Ende der Welt

In meinem Zimmer im Freestyle Hostel ist Jessi (die Freundin vom "Philipp":-)) aus Deutschland. Fast auf Anhieb verstehen wir uns super.;-) Aller guten Dinge sind drei… so stösst am nächsten Morgen Ayla (ebenfalls aus Deutschland) hinzu und wir beschliessen spontan zusammen eine Bootstour auf dem grau-blauen „Beagle Channel“ zur Seelöwenkolonie auf der „Isla de los Lobos“ zu machen. Jessi bemerkt Running-gag-mässig passend: „Die Tiere sind soooooo süssss!“:-) Die Gegend mit  dem Meer und rundum die schneebedeckten Bergspitzen erinnert mich total an den good ol‘Zürichsee. Aber auch Ushuaia selbst hat etwas – nicht nur wegen dem kalten Klima – von einem touristischen Alpendorf: Aalglatte Kleiderboutiquen, Uhrenläden und Souvenirshops in holzigen Häusern, etwa, wie sie in Zermatt oder St. Moritz zu finden sind. Später am Abend stösst noch Simon aus Australien zu unserer Truppe und zur Feier des Tages „kochen“ wir einen leckeren Royal Salad.
Der Leuchtturm im Zürichsee?
Vogelzuschauer beim Robbenkonzert
Seehund-Tauchspass
Fast, wie zuhause

Während die organisierte Ayla am 27.03.12 auf ihre Pinguinentour geht, schlüpfen Jessi, Simon und ich in unsere Hiking-gear und machen uns auf zum „Parque National Tierra del Fuego“ für eine gemütliche Wanderung durch den Hänsel und Gretel Wald. Die 5h auf dem gut markierten „Sendera Costera“-trail vergehen wie im Flug, während wir herum blödeln, uns Stories erzählen und im vermeintlichen Windschatten unsere mitgebrachten Sandwiches essen. Die in Sonnenschein gehüllte, herbstliche Gegend mit Schneebergen als Kulisse ist wunderschön…und…wart mal…sie erinnert mich irgendwie an die Schweiz!:-) Ein leckeres Abendessen und mein südlichster Rum+Coke im Irish Pub am Ende der Welt (leider ist es nicht das südlichste Pub der Welt, denn dies ist in einer ukrainischen Forschungsstation in der Antarktis) runden den grossartigen Tag ab.
Südlichste Poststelle der Welt
Znünipause mit Jessi+Simon
Das goldige Wetter am 28.03.12 schreit regelrecht nach einer weiteren Wanderung. Bis Jessi, Simon und ich uns entschieden ;-) und ohne Kontamination die Wanderschuhe angezogen haben ;-), ist es bereits Mittag. Das Taxi bringt uns bis zur „Aerosilla“, dem Sessellift, den wir aber links (also eigentlich rechts) liegen lassen und den steilen Aufstieg zu Fuss beginnen. Mit der Zeit ziehen Wolken auf und der eisige Wind fegt uns fast vom Weg. Auf dem Plateau angekommen haben wir ein top Panorama auf Ushuaia, den Beagle Channel und weiter oben sehen wir den Gletscher. In Anbetracht der Kälte, des Windes und des leichten Regens machen wir uns jedoch auf den Abstieg. Im King Crab-Restaurant gibt’s ein Farewell-dinner für Ayla, die wir nur schweren Herzes zurück nach Buenos Aires fliegen lassen. Ayla, Jessi und Simon gehören zu dem Typ von Reisegefährten, von denen der Abschied schwer fällt, obwohl wir uns erst ein paar Tage (und doch so gut) kennen. Es gibt Konstellationen, da stimmt die Chemie einfach und man wünscht sich, man hätte die gleiche Reiseroute.
Herbstwald auf dem Weg zum Gletscher
Es ist kalt…

..und windig..

Keksmonster von Glaciar Martial



Farewell von Ayla
Am Morgen des 29.03.12 verlässt uns auch Jessi, die Ayla in Buenos Aires wiedertrifft um mit ihr zusammen nach Iguazú zu gehen. Simon und ich frönen einem Chillout Tag in der angenehmen Wärme der Hostelwände. Als wir noch eine Nacht verlängern wollen, müssen wir erfahren, dass das Freestyle Hostel komplett ausgebucht ist. Der Besitzer fasst sich jedoch ein Herz und lässt uns im Etagenbett des TV-Zimmers übernachten, wo wir die belgischen Mädels verscheuchen, die America’s Got Talent schauen (meines Erachtens eh kein grosser Verlust). Der Bus die zurück via Rio Gallegos (12h) nach El Calafate (nochmals 4h) geht bereits in aller Herrgottsfrühe um 5 Uhr des 30.03.12. Kaum habe ich nun auch noch Simon verabschiedet, lerne ich im Bus nach El Calafate Almut aus Deutschland, Alicia aus Australien und Sean aus den USA kennen. Im sehr touristischen El Cafélatte…ääh…Calafate checke ich im gemütlichen I Keu Ken Hostel ein. Das warme Wohnzimmer, die freundliche Atmosphäre und die chilligen Sofas vor der Panoramascheibe, mit dem Ausblick auf den türkisblauen Lago Argentino, laden zum verweilen ein. Am 31.03.12 machen wir einen Ausflug zum „Perito Moreno“-Gletscher, Hauptattraktion der Region. Trotz Sonnenschein sind die Temperaturen (vor allem der Wind) eiskalt und ich wünschte mir eine warme Daunenjacke. Das Boot bringt uns nahe zum gigantischen, türkisblau schimmernden Gletscher heran, der sich täglich mehrere Zentimeter fortbewegt und wir werden mehrmals Zeuge, wie Gletscherteile mit Getöse ins Wasser abbrechen. Auch die Sicht bei den gut angelegten Aussichtsplattformen ist majestätisch – wär da nicht dieser eiskalte Wind. Und prompt hole ich mir einen Schnupfen! Mein Highlight des Tages ist aber ein viel bescheideneres, dafür umso herzlicheres Vergnügen: Ein Skype-Telefonat mit Jay und meinen F6-Ladies, die gerade zuhause im Bolero nach guter, alter Manier steil gehen.:-) Miss youuuuu!
Bootsfahrt zum Gletscher…
…tosend bricht ein Stück ab
Auch die Aussicht von oben ist grandios..
…speziell diese!:-)

Die nächsten zwei Tage gilt „dolce far niente“. Im Hostel lerne ich Elena und David aus Deutschland kennen, die ebenfalls am Abend des 02.04.12 nach El Chaltén fahren. Die etwas teurere Busgesellschaft gewählt, witzle ich vor der Abfahrt noch, dass ich ihnen dann zuwinken werde, wenn ich sie mit meinem luxuriösen, neuen Bus überhole. Und prompt auf dem Weg hat mein Bus eine technische Panne und wir bleiben etwa 1h stehen, während Elena und David an mir vorbeifahren und vor mir im 3h entfernten El Chaltén ankommen. Als ich müde und deprimiert wegen dem Regen und starken kalten Wind im Busterminal von El Chaltén einfahre, warten Elena und David auf mich und offenbaren mir, dass sie mir das letzte verfügbare Zimmer im Condor de Los Andes reserviert haben. Ein herzlicher Zug, den ich niemals vergessen werde!  Daaaanke!!! El Chaltén, am 12 Oktober 1985 gegründet, und somit Argentiniens jüngste Stadt, ist ein Mix aus Wildwestkaff und Alpendorf und Zugang zu den Bergmassiven des Cerro Torre und des Fitz Roy. Die vielen Hostelbaustellen, Trekkingshops, Schokoladen- und andere Souvenirläden zeugen davon, dass der Tourismus Haupttreiber ist – aber nur im Sommer! Ende April werden über Winter die meisten Aktivitäten „auf Eis gelegt“ und es harren nur noch ein paar Hundert Leute die kalten Temperaturen aus.
Willkommen in El Chaltén..
..und beim Fitz Roy

Das Wetter am 03.04.12 ist – abgesehen von den eisigen Windböen, die über die schneebedeckten Berge fegen – wieder strahlendblau und wir fühlen uns total ready für eine Wanderung zum prächtigen Fitz Roy-Gebirge mit seiner rauen Wildnis und den Hai-Zahn-Gipfelartigen Bergen. Nachdem wir ins Albergue Patagonia Hostel gewechselt haben, werden wir am Mittag vom Minibus abgeholt und zur Kreuzung bei „Hosteria El Pilar“ gebracht. Von dort beginnt unser 5h Trekking entlang des Flusses Rio Blanco zum Glaciar Rio Blanco und entlang des Fitz Roy‘s zurück nach El Chaltén – zunächst noch in der Sonne. Nach etwa 15 Minuten ziehen Wolken auf, die die Gegend in Grau hüllen und später für peitschenden Nieselregen sorgen; selbstverständlich immer begleitet von starkem, eisigem Wind. Während wir uns die Spitzen des Fitz Roy vorstellen und durch wundervolle herbstlich-rote Wälder wandern, lassen wir uns den Spass nicht verderben und ich bekomme fachmännische geologische Aufklärung von Elena und David über Zerr- und Nährgebiet des Gletschers, bis zur tiefgründigen Kunst der Wort-falsch-Interpretation (habe ich jetzt grad „kommen“ geschrieben?).:-)
Noch zeigt sich der Fitz Roy..
..beim Posen am Gletscher ist alles grau
Am nächsten Tag ist das Wetter wieder perfekt, doch wir gönnen uns einen faulen Tag im Hostel, kochen lecker und planen die Weiterreise. Nun gibt’s nur noch das Problem unserer Bleibe zu lösen, denn unser Bus geht am 06.04.12 um 03.50 und wir wollen keine zusätzliche Nacht bezahlen. Dank unserem vorbildlichen Einschleimen bei der superfreundlichen Staff im Hostel (galant die Küche putzen, aufmerksam das abgezogene Bettlaken zurückbringen), dürfen wir – pssst…gegen die Regel des Besitzers – den ganzen 05.04.12 im geheizten Gemeinschaftsarea verweilen, bis unser Bus fährt. Nicht nur wegen der liebenswürdigen Staff, sondern auch wegen der Stimmung, Sauberkeit, Preis-Leistungsverhältnis und der gemachten Betten am Morgen, kann ich die Albergue Patagonia sehr empfehlen! Keine fünf Minuten im kuschligwarmen Bus, schlafe ich ein und schlaf-döse beinahe die ganzen 13 Stunden öde Fahrt nach Los Antiguos durch (das ist etwa einem Lotto 6er gleichzusetzen). Dort angekommen verabschiede ich mich von meiner super Reisebegleitung Elena und David – auf ein baldiges Widersehen entweder unterwegs oder spätestens zuhause in Deutschland oder in der Schweiz. Ihnen stehen nochmals 14h Busfahrt bis nach Bariloche bevor und ich versuche noch am selben Tag die Grenze nach Chile zu überqueren.
“Not all those who wander are lost.” – J. R. R. Tolkien
Cheers
Alex 

6 Kommentare:

  1. Who the hell is jenni?

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  2. Yeeeah... Test bestanden...da liest jemand meinen Blog aufmerksam.:-)))

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  3. sitze im büro, lese und schwelge in erinnerungen. schön geschrieben!!!

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  4. @David: Recht hast du, einen Gang zurück zu "Chalten" + in Erinnerungen zu schwelgen. Meine Reise geht noch etwas weiter...bin grad beim Flughafen ange"kommen" und flieg heute auf die Osterinseln!:-) Liebs Grüessli, Alex

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  5. wow!!! osterinseln, wie schööön!!! der plan steht noch, dass du mit nem frachtschiff zurück kommst? bin auf weitere kapitel deines blogs gespannt. have a save trip my son. big up!

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  6. @David: Yup, Osterinsel, da bin ich! Ein zweifelsohne magischer Ort. Die Planung des Frachtschiffs ist im Gange… zu 95% gibt’s also auch noch ein Kapitän Baer Blog-Update.:-) Keeping you posted…. Cheers

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