[Von New York nach Rotterdam]
Grosse grau-blaue, gekrauste Weite,
strahlende Sonne, die schiere Unendlichkeit greifbar am Horizont und alle Zeit
der Welt… Eine Frachtschiffreise ist ein einmaliges Erlebnis und der perfekte Abschluss
für meine Reise. Die Buchung durch www.globoship.ch
ist unkompliziert und es wird auf meine Wünsche und Vorstellungen eingegangen.
Klar, ist das ganze kein günstiges Unterfangen (mit durchschnittlich 144
CHF/Tag), aber dafür ein umso exklusiveres. Fernab von Zeitgefühl, Hektik und Sightseeing,
bleibt mir fast unendlich Raum, mein vergangenes Jahr Revue passieren zu lassen,
meine Erkenntnisse aufzuschreiben und eine ruhige Heimreise zu geniessen…
|
Am
Hafen… |
|
..auf
See und bei.. |
|
..Sonnenuntergang |
Zwei ältere Griechische Hafenarbeiter mit
grosser Brille holen mich am 14.05.12 ab und im Auto unterhalten wir uns über die
guten, alten Zeiten in Griechenland… Als ich dann noch mit meinem bescheidenen Griechischen
Vokabular „Malaka“ (als ein Autofahrer waghalsig überholt) und „Efcharisto Poli“
(beim Verabschieden) auftrumpfe, sind wir bereits beste Freunde…
|
Am
Hafen von New York… |
|
…das
Abenteuer kann beginnen |
Der Baer, manchmal auch Captain Morgan genannt
;-), begibt sich voller Erwartung an Deck. Thomas, der Deutsche Apprentice, hilft
mir beim Hochtragen meiner Shoppingeskapaden aus New York. An Bord der MV
Hyundai Tianjin werde ich vom 2nd Officer empfangen und von June, dem Steward
(beide sind Philippiner) in meine Kabine, der „Owner’s Representative A“ auf
Deck G begleitet. Draussen auf der Ladefläche herrscht Hochbetrieb. Zwei
riesige Hafenkrane Schichten Container an Deck, während kleinere, mobile Krane
abwechslungsweise Container bereitstellen, die sie vom unendlichen
Containerlager im Hafen nach irgendeiner ausgeklügelten Logik herbeiholen. Das
fleissige Treiben erinnert an einen Ameisenbau. Der Hafen in New Jersey/New
York ist nach seiner Fläche der grösste Hafen der USA.
|
Container
werden geholt… |
|
…und
auf Deck verfrachtet |
Im Treppenhaus begegne ich dem Deutschen
Kapitän Michael Simon, der mir auf Anhieb sehr sympathisch ist und mir einen
guten Aufenthalt wünscht. Ich muss leider eben doch klein beigeben, dass ich
nicht der „richtige“ Kapitän bin (auch wenn Captain Morgan naheliegend ist). Auch
der Rest der Crew ist total locker drauf und wir werden noch eine super Zeit
miteinander verbringen. Da ist Chief Engeneer Volker (während er im lauten,
heissen Maschinenraum das Herz des Schiffes ist, ist der Kapitän auf der Brücke
das Gehirn – ein super funktionierendes Team), 3rd Engeneer Toni und 2nd
Engeneer Fabian (ebenfalls im Maschinenraum und gelegentlich auch im Officers‘
Recreation Room beim Bier anzutreffen), Thomas der Apprentice, sowie Alexandra
(Praktikantin oder „Spionin“ aus dem Büro und die einzige Frau an Bord) und nicht
zu vergessen Julius der Koch (mitunter das wichtigste Crew-Mitglied). Bis auf
den Koch sind alles Deutsche. Mit dem Rest der total 22 Crewmitglieder komme
ich weniger in Kontakt.
|
Captain
Morgan an Bord |
|
Anderes
Schiff beim Auslaufen |
Für die Zeit auf See habe ich ein
Wohnzimmer (so gross, dass ich hier mit meiner ganzen WG eine Party
veranstalten könnte) mit Kühlschrank, Sofas, Clubtisch und TV, ein Schlafzimmer
mit King-Size Bett (und zwei Kissen – yeeah), sowie ein eigenes Badezimmer.
Alles ist sehr sauber und extrem luxuriös für meine Backpackerverhältnisse.
Selbstverständlich habe ich von meiner Kabine (die direkt unter der Brücke ist)
freien Blick nach Vorne – so kann ich wenigstens im stillen Kämmerchen Kapitän
spielen.:-) Zu den weiteren Features an Bord der Tianjin gehören ein kleiner
Fitnessraum, eine Sauna, ein Tischtennis- und Aufenthaltsräume mit TV, Bar und
Karaokestation, ein Raum mit Schwimmbad und ein Raum mit Waschmaschine. Am Bug
des Schiffes befindet sich ein gemütliches Deck mit Liegestühlen.
|
Luxuriöses
Wohnzimmer… |
|
…Schlafzimmer+Klo |
|
Orientierung |
|
Alles,
was ein.. |
|
..Mann
braucht!;-) |
Etwas später kommt Mike aus den USA an
Bord, der seine Europareise mit dem Frachtschifferlebnis beginnt und schon bald
ist es Zeit zum Abendessen. Um 23.00 Uhr klingelt das Telefon in meiner Kabine.
Der Kapitän lädt uns ein, auf die Kommandobrücke zu kommen, um das Auslaufen des
Schiffes hautnah mitzuerleben. Endlich darf Mr. Morgan auf die Brücke.:-) Einen
Moment, den ich nie vergessen werde! Mike und ich stehen draussen über dem
Navigation-Deck (also ein Stock über der Brücke, das über eine steile Leiter zu
erreichen ist), vor uns die beleuchtete Hafenanlage, im Hintergrund Lichter von
Manhattan und das Frachtschiff, das sich langsam dreht, um in See zu stechen.
Wir passieren eine Brücke, die in ihrem höchsten Punkt nur wenige Meter höher
ist, als das Schiff. Ohne die Kommunikationsantennen und Radar zu knicken
kommen wir unten durch. Wir geniessen eine Weile die unbeschreibliche Aussicht
und die vorbeiziehenden Lichter, bevor ich in meine Kabine gehe und total happy
über meine bevorstehende Reise, vom leichten Schwanken des Schiffes in den
Schlaf gewiegelt werde.
|
Mike+ich
werden auf die Brücke eingeladen |
|
Richtiger
Kapitän bereitet das Auslaufen vor |
|
Falscher
Kapitän post derweil auf der Brücke |
|
Einmaliger
Moment |
Rechtzeitig zum Sonnenaufgang wache ich am
15.05.12 auf, um ein paar Fotos zu schiessen, bevor ich mich nochmals aufs Ohr
lege, bis ich vom Steward zum Frühstück geweckt werde. Danach erhalten wir vom
2nd Officer eine Einführung in Sicherheit- und Notfallprocedures und werden auf
dem Schiff herumgeführt. Die 249m lange und 32m breite MV Hyundai Tianjin hat
Baujahr 2006 und Platz für 4300 Container. Während die Crew am Arbeiten ist,
habe ich viel Zeit zum Chillen, Lesen, Blognachschreiben, meine Erlebnisse
revue passieren zu lassen, im Fitnessraum meinen Appetit anzuregen (ich muss ja
schliesslich Hunger für drei Menus am Tag haben), die Chillout CD fertig zu mixen
und und und… Quality time par excellence!
|
Mit
Koch und Steward |
|
Ohne
Kate und Caprio |
|
Sonnenaufgang in Fahrtrichtung |
|
Sonnenuntergang
auf Achter |
Ein Highlight meiner Reise beginnt schon am
16.05.12, wo wir mit den Offizieren, Engeneers und Apprentice auf dem F-Deck
eine kleine Afterwork-Party zum Sonnenuntergang starten und danach im Officers‘
Recreation Room weiterfeiern. Mike und ich erleben einen sehr unterhaltsamen
Abend, wobei der Kapitän Barkeeper und DJ spielt, ein Haufen Seemannswitze und
andere Insider-Geschichten erzählt werden und wir einen guten Einblick ins
Seefahrerleben erhalten. Die Leute hier an Bord sind alle sehr nett und offen
zu uns – ich bin auf dem richtigen Schiff, mit der richtigen Crew gelandet! Kapitän
und Chief Engeneer witzeln ständig darüber, wer jetzt die Nummer Eins an Bord
ist. Wäre der Chief Engeneer fürs Navigieren verantwortlich (was aus seiner
Sicht ja einfach ist), würde er, so meint der Kapitän, einfach mal drauflos
fahren und beim erstbesten Hafen in der Bäckerei Brötchen kaufen gehen. Auf der
Tüte vom Bäcker würde er dann von der Adresse der Bäckerei herleiten, wo wir
gelandet sind. Wäre der Kapitän im Maschinenraum, so kontert der Chief, würde
erst mal gar nichts laufen, weil das Starten der Maschine nicht einfach ist.
Selbst Mike und ich kommen nicht ungeschoren davon. Uns werden mehrere hundert
Dollar geboten, wenn wir es schaffen würden, die Maschine zu stoppen (wie wir
später heraus finden geht das mit einem Knopfdruck von der Brücke aus) und zu starten
(ein aus meiner Sicht unmögliches Verfangen, wie wir im Maschinenraum noch
sehen werden). Ach ja… und dann bekomme ich noch das Angebot vom Abend: Der Chief
Engeneer bietet mir unwiderstehliche 1000 Dollar, wenn ich mir eine Glatze
rasiere. Ob ich darauf eingegangen bin, seht ihr dann, wenn ich wieder nachhause
komme… ;-) Tags darauf (am Donnerstag ist Seemannssonntag) stehen Mike und ich
erst zum Mittagessen auf, da die Party doch etwas länger gedauert hat.
Anschliessend trifft man sich erneut im Aufenthaltsraum zu Piratengeschichten, Dance
Musik und Hopfentee! Das Feiern geht weiter… bis sich die Party am Nachmittag
so langsam auflöst.
|
Official
Tianjin Partycrew |
|
1000
Dollar-Haare ab? |
Die restlichen Tage bis zum Einlaufen im
Hafen von Rotterdam sind ruhig, so wie ich mir es vorgestellt habe. Manchmal
sonnig, manchmal neblig, schöne Sonnenunter- und Aufgänge und sogar ein paar
Möwen, die sich weit aussen im Meer verirrt haben. Täglich wird die Uhrzeit um
eine Stunde vorgestellt, um unsere Uhren an Rotterdam anzugleichen (praktisch,
somit bleibt mir der Jetlag erspart).
|
Mal
Sonnig… |
|
…mal
Regen.. |
|
..mal
Abend.. |
|
..mal
Nebel (reimt sich) :-) |
Nebst dem leckeren Essen gibt es ab und zu weitere Highlights, wie Führung durch den riesigen Maschinenraum mit der 8-Zylinder Maschine, die ohne Getriebe mit dröhnenden 80 Umdrehungen pro Minute die immense Schiffsschraube antreibt, damit wir unsere ca. 20 Knoten halten. Wenn man es nicht selber gesehen hat, wird man es wohl kaum glauben, dass die Maschine, Pumpen, Hilfsgeneratoren, Wasseraufbereitungsanlage etc. und sogar eine kleine Kehrichtverbrennung eine ganze Halle über mehrere Stockwerke füllen (im Innenraum auf Achter, das ist die Hinterseite des Schiffes). Der Chief Engeneer erklärt uns den Kontrollraum, die Maschine und alle anderen Geräte, die wohl eine ganze Kleinstadt unterhalten könnten. Ich muss zugeben, dass ich nicht im Stande wäre, die Maschine zu starten. Aber Captain Morgan gehört ja auch auf die Brücke.
|
100
Knöpfe Kontrollraum |
|
8
Zylinder Maschine |
|
Chief in
Pose |
|
Daily
life@Maschine |
|
Sightseeing@Deck? |
Auf dem Navigationsdeck beim Kapitän, wo
wir auch jederzeit willkommen sind, haben wir die beste Aussicht auf das
endlose Blau, die Container und an einem Abend sehen wir sogar Delfine, die mit
uns mit schwimmen. Am Mittag des 20.05.12 klingelt abermals das Telefon in
meiner Kabine und der Chief Engeneer lädt uns in den Aufenthaltsraum ein, wo mit
der Crew eine weitere kleine Party stattfindet.
Ein paar Tage vor Einlaufen in Rotterdam
wird die Geschwindigkeit auf 15 Knoten gedrosselt, damit wir zur richtigen Zeit
am 23.05. um 05 Uhr morgens den Zielhafen erreichen. Je näher wir dem Festland
kommen, desto mehr Schiffe sind um uns herum. Mit dem Radargerät auf der Brücke
können diese sogar mit Details, wie Zielhafen identifiziert werden. Gespannt
erwarte ich den Morgen des 23.05.12, wo ich um 04.20 aufstehe, um auf die
Brücke zu gehen, damit ich das Einlaufen hautnah miterlebe. Noch sind nur ein
paar Lichter im Nebel und der Dunkelheit des Morgens erkennbar. Über Funk
kommen Anweisungen herein. Etwas später nähert sich uns ein kleines Schiff, das
einen Lotsen an Bord bringt. Die ersten Hafenkrane (und ach so stereotypisch
für Holland Windräder) tauchen aus dem Nebel auf, während hinter uns die Sonne
langsam aufgeht. Um etwa 06.10 Uhr kurven wir dann Richtung Hafen, wo ich vor
sieben Jahren bei meinem Auslandssemester in Holland mal gestanden und den
Schiffe die einliefen zugeschaut habe. Damals war unsere Tianjin noch nicht im
Wasser und ich hätte mir nicht gedacht, dass ich auf diesem Wege mal von einer
Weltreise zurückkehren werde…
Der Hafen von Rotterdam ist supermodern.
Führerlose Carrier fahren die Container herum, die von ebenfalls
computergesteuerten Kranen in ihre Stellplätze gehievt werden. Vier grosse,
bemannte Lastkrane machen sich an der Ladung unseres Schiffes zu schaffen,
während die freundliche Immigrationsbeamten an Bord unsere Pässe kontrollieren.
Nach dem Mittagessen und dem Verabschieden von der Crew werden wir vom Taxi
abgeholt und ich freue mich, meinen Fuss auf niederländisches „Heimatsgebiet“
zu setzen…
|
Vollste
Konzentration beim Einlaufen.. |
|
..in
den „Cyber“-Hafen von Rotterdam |
“Once you have traveled, the voyage never ends, but is played out over
and over again in the quiestest chambers. The mind can never break off from the
journey.” – Pat Conroy
Cheers
Alex