Dienstag, 2. August 2011

Chillout (und ein bisschen Party) in Atacames

Man hat mich gewarnt: Atacames sei das Mallorca von Ecuador. Das Meer ist angenehm frisch, das Klima sonnig, feucht und warm, doch die Ortschaft an und für sich ist wirklich nichts Besonderes. Am Strand reihen sich unzählige hölzerne, mit Palmenblättern bedachte Bars aneinander, locken mit trostlosen Drinks und plärren den ganzen Tag Salsa und Reggaetón Musik. Absolutes Copy+Paste mit unterschiedlichen Playlists. Hier ist der Ort, wo sich die mehrbesseren Ecuadorianischen Familien ihre Bäuche bräunen, Bier saufen und im Überdruss Nahrung zu sich nehmen: Ceviche in allen Variationen, frittierte Langusten, Reis mit Muscheln,… nur für den armen Vegetarier steht nichts auf der Speisekarte! Ich war zwar noch nie in Mallorca, aber es könnte hin hauen…
Ich komme am Montag 11.07.11 nach 7h Busfahren in Atacames an. Mein Loneley Planet empfiehlt mir als Unterkunft die Cabañas Los Bohios: hübsche, saubere, kleine Bambushäuschen, etwas weg vom Strandrummel, für USD 10 pro Nacht. Deal!
Meine Bambushütte
Ich kann auf dem Wasser gehen!
Bis und mit Montag 18.07.11 betreibe ich MEIN Copy+Paste: Chillen oder Lesen im Liegestuhl am Strand, Baden, den Wolken zuschauen, Siesta machen in meinem Kabäuschen unter dem Ventillator (mittlerweile überlebe ich ganz gut ohne A/C), bei Sonnenuntergang am Strand Joggen... Yeah, ich habe Ferien von den Ferien – das braucht’s manchmal, dass kann jeder Backpacker bestätigen.:-) Ich habe den Strand und der Strand hat mich. Täglich sehe ich die Gezeiten kommen und gehen… Zu meinem Erstaunen gibt es leider wenig, bis keine andere Backpacker hier. Abends ist jeweils absolute Kindergartenstimmung. Vollgefressene Familien Ober-und Nebenhäupter schunkeln etwas komisch in den Bars zu Salsamusik, während ihre Kinder aufgedreht rumturnen und an einem (hoffentlich) alkoholfreien Drink nuckeln. Es kommt noch besser. Eines Tages beobachte ich, wie zwei Reisecars voll mit Schulkindern total ready für „ausgelassene“ Strandferien in die Stadt einfahren. Wo bin ich hier nur gelandet?:-) Ich überlege mir, wie lange ich bleiben soll…das Weekend abwarten, oder zurück nach Quito? Ich entscheide mich für Abwarten...mindestens das Weekend…
Mein Strand+Meer zum chillen
Mein Terrain+Panorama zum Joggen

Die Mallorca-Seite von Atacames
Das meine ich mit Kindergartenstimmung

Hie+da wird mir auch ein Kunststück vorgeführt


Am Strand lerne ich Habib, einen Local kennen, der verrückte Saltos einübt. Er will mir am Freitagabend die Party zeigen. Am Wochenende sei Atacames voll von ecuadorianischem Partyvolk. OMG… Und WAS für eine Party wir gefeiert haben!:-p Mit Schrecken stelle ich jedoch fest, dass sämtliche Partygänger ins Meer pinkeln! Manchmal schaffen sie es nicht mal bis zum Wasser und verrichten ihr Geschäft im Sand. Dies relativiert meine Beziehung zum Strand etwas.
Als hätte ich es geahnt, kehre ich samstags dem Partymachen den Rücken zu, obwohl die Clubs lauthals nach mir lechzen. Während ich mein Copy+Paste weiter betreibe, stelle ich nämlich fest, dass seit Sonntag sämtliche Bars verstummt sind und auch am Strand kein Alkohol mehr getrunken wird. Nicht mal am Kiosk bekomme ich ein Bier (es sei temporär verboten worden). Hmmm… Mallorca?! Ich geniesse die alkoholfreie Ruhe am Strand und in der Nacht (meine Bambushütte ist echt ringhörig). Wie ich erst später des Rätsels Lösung erfahre, wurde in ganz Ecuador für 4 Tage Alkoholverbot ausgesprochen, da durch gepanschten Alkohol im Land 23 Personen ums Leben gekommen sind* (in Atacames seien am Samstag vier Personen gestorben – Glück gehabt!). Obwohl nur noch wenig von Flat’s Rum übrig ist, halte ich mich an die besorgten Worte von klein Janine per Email: „Alex, heb di a dim Captain Morgan fest!“.:-)
Die Abendstimmung wirkt doch auch ohne Alkohol...
Am Montag 18.07.11 werde ich von Jimena, einer kolumbianischen Losverkäuferin am Strand angesprochen. Sie ist nicht die einzige Strandverkäuferin, aber die cleverste: Sie spricht zwar kein Englisch, ich kein Spanisch; dennoch überredet sie mich für eine Manicure am Abend, wo sie mit selbstverständlicher Verspätung auch eintrifft. Wie war das nochmals mit der südamerikanischen Pünktlichkeit? Egal, meine Nägel glänzen und ich erhalte auch 2 Wochen nach dem Treatment noch Komplimente von Leuten!:-) Tags darauf, am 19.07.11, soll ich ihre 14 netten, verrückten, kolumbianischen Losverkäufer-Freunde kennen lernen, mit denen sie zusammen in einem Haus in Atacames lebt. Heute werden keine Lose verkauft, dafür gemeinsam den ganzen Tag an einem abgelegenen Teil des Strandes ge-chillt (mein Motto!). Der Tag mit den Leuten des „casa de locos“, wie ich sie nenne, wird zu einem unvergesslichen Erlebnis! Mit grösster Herzlichkeit laden sie mich zum Mittagessen ein, wir baden, spielen Volleyball im Wasser, springen aufs Schiff auf und sehen Delfine (Martin!), flitzen mit dem vom Boot gezogenen Tube durchs Wasser, sie zeigen mir die versteckte Höhle und wir haben GOOD TIMES.
Mit Katherinn+Jimena aufm Weg zur Beach
Todos los locos a la playa
Martiiiiin!
Las reinas
Am Abend des 20.07.11 treffe ich mich mit Jimena und ihren „reinas“ zum Pizza Essen. Danach feiern wir Milton’s 42. Geburtstag mit Kuchen, Bier mit Eiswürfeln und Salsa im „casa de locos“. Meine Idee am nächsten Tag mit den „locos“ ein paar Stunden Lose am Strand zu verkaufen wäre zwar ein grosser Spass gewesen, dennoch kam’s leider nicht zustande, da sie wohl ahnten, dass ich mit dem Megafon den ganzen Strand aufgemischt hätte.:-) Der Abschied mit den Kolumbianern fällt sehr schwer und ist genau so herzlich, wie die erste Begegnung. Dennoch ist es am Abend des 21.07.11 nach zehn Tagen Atacames Zeit, nach Quito aufzubrechen. Ich werde zum Abendessen ins „casa de locos“ eingeladen und mit Geschenken, Abschiedsbriefen und guten Wünschen überhäuft und auch ich habe eine kleine Überraschung für die Leute und zudem einen perfekten spanischen Abschiedsbrief (Danke Petra fürs Übersetzen!)
Beim Ziehen der LOTTO Zahlen
Genau so hätte ich Lose verkauft :-)
Alle begleiten mich zum Bus
Im Nachtbus lasse ich revue passieren, was ich die vergangenen Tage erlebt habe. Die Herzlichkeit dieser Leute, welche in ärmlichen Verhältnissen leben (zu viert im Zimmer schlafen und zu 14 ein Klo/Dusche teilen!), hart arbeiten (Ganzer Tag pralle Sonne, kleiner Lohn), die Schicksale hinter den Personen (3 Jahre Kolumbianischer  Knast wegen Arbeiten auf illegalen Kokainplantagen, Familie+Kinder im 50 Busstunden entfernten Kolumbien) und dennoch sind diese Leute wohl nicht unglücklicher, als viele in unserer Gesellschaft… ich schlafe ein…Plötzlich wird der Bus angehalten. Ich schrecke auf und bin verwirrt. Völlig verpennt begreife ich noch nicht ganz, dass es eine Polizeikontrolle ist. Nachdem wir alle im Bus gefilmt  (?!?) werden, müssen wir raus aus dem Bus. Von mir wollen sie den Reisepass sehen. Ich überreiche meine alte, feuchte, durch die 3 Monate Reisen ziemlich mitgenommene Kopie des Passes, welche in den Händen des Polizisten sogleich zerfällt. Ich behalte eine ernste Miene, innerlich lache ich mich aber kaputt.:-)
Die zweite Hälfte der Fahrt schlafe ich leider nicht mehr so gut. Das kommt wohl davon, dass ich völlig aus-ge-chillt bin.:-)

“CHILLING - a cool way of telling someone you sat around doing nothing.” – Urban Dictionary

Cheers
Alex

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